Hans Kohlhase
Vermutliches Wohnhaus von Hans Kohlhase auf der Fischerinsel
in Berlin-Mitte, Fischerstraße 28, um 1930. Foto: Arnhold Kollowa
Zeit und Person
Hans Kohlhase wurde um 1500 in der Gegend der märkischen Kleinstadt Müncheberg,
vermutlich im Dorf Tempelberg, geboren. Seinen Lebensweg als Fernhandelskaufmann
begleiteten die Sorgen und Nöte seiner Landsleute im östlichen Deutschland
zwischen Pommern und Böhmen. In diesem Landstrich handelte er mit Honig,
Heringen, Speck und anderen Lebensmitteln. Sein weitläufiger Berufsstand und
die Sicht auf das gesellschaftliche Unrecht der herrschenden Oberschicht, des Adels,
der Pfaffen und der Patrizier, verbanden ihn mit den einfachen Menschen.
Reformation und Bauernkriege waren Zeichen eines Wandels, der breite Schichten
des Volkes aus der Lethargie riss. Auch in Brandenburg und Berlin begann das
16. Jahrhundert mit einer tiefgreifenden sozialen und geistigen Krise. Allgemein
waren die Ablehnung des Bestehenden und die Auflehnung gegen staatliche und
kirchliche Autoritäten. Kohlhase schloss sich der vom brandenburgischen Kurfürsten
zunächst ignorierten reformatorischen Bewegung an und hörte, wie die Aufstände der
Bauern in Süddeutschland um 1525 in ihrem eigenen Blute erstickten. Aber der
Widerstand war mit diesen Niederlagen nicht gebrochen. Er wechselte nur sein Antlitz,
wie sich bald zeigen sollte.
1530, nach einigen Jahren persönlich erfolgreicher Handelstätigkeit, erwarb Kohlhase
das Bürgerrecht von Cölln an der Spree und wohnte mit seiner Frau, den Kindern und
einem Berg Schulden in der Gegend der heutigen Berliner Fischerinsel als geachteter Bürger.
Fehde als sozialer Widerstand
Hans Kohlhases Fehdebrief an Günther von Zaschwitz und das Land Sachsen
vom 12. März 1534, erste Seite
Als ihm im Oktober 1532 auf dem Wege zum Leipziger Michaelismarkt seine Pferde von dem sächsischen
Adligen Günter von Zaschwitz geraubt wurden, forderte er zunächst mit
einer Klage sein Recht ein. Der Bürger und Kaufmann Kohlhase stieß an die Grenzen des
feudalen Rechtsstaates. Der sächsische Landvogt Hans Metzsch und auch der Kurfürst
Johann Friedrich von Sachsen deckten den Adligen. Daraufhin erklärte Kohlhase in einem
offenen Brief vom 12. März 1534 dem Land Sachsen und Günter von Zaschwitz die Fehde,
womit Brandschatzung, Raub und Entführungen angekündigt wurden. Dieses Dokument
befindet sich heute im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar
(Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Ss pag. 360 Nr. 1 b Vol. I, Bl. 14-16).
Was zunächst wie eine
Privatfehde aussah, wurde in jenen unruhigen Zeiten zur Fortsetzung des Bauernkrieges
mit anderen Mitteln.
Zur selben Zeit, als Kohlhase im Untergrund verschwand und sich bald hier bald dort
mit seinem bewaffneten Haufen sehen ließ, rebellierte im westfälischen Münster eine
ganze Stadt. 1534 bis 1536 regierten dort die radikalen Wiedertäufer, und in Lübeck war
der mit ihnen sympathisierende Jürgen Wullenwever (1488-1537) Bürgermeister. Die Zeit
war voller kämpferischer Sehnsucht nach einer sozial gerechten Welt. Kohlhase,
die Wiedertäufer und Wullenvewer waren jeder auf seine Art Teil dieses Strebens.
Obwohl die Aktionen Kohlhases auf den brandenburgisch-sächsischen Grenzraum zwischen
Wittenberg, Gömnigk, Marzahna und Kloster Zinna beschränkt blieben, war sein
Unterstützerkreis in der gesamten Mark Brandenburg beträchtlich. Die Untersuchungsakten
überlieferten mehr als 300 Mitstreiter und Helfer unter Handwerkern, Gastwirten, Gesellen,
Tagelöhnern, Bauern, Knechten, Müllern, Händlern, Pfarrern, Amtleuten, Richtern und
selbst niederen Adligen, von denen viele hingerichtet wurden. Kohlhases Kampf
hatte in der Mark eine soziale Basis.
Tod
Rabenstein, der "Alte Gerichtsplatz" am heutigen Strausberger Platz,
im gesüdeten Plan von Schmettau 1748, mit eingezeichneten Straßenzügen von 2007
Hinrichtung von Hans Kohlhase am 22. März 1540,
Zeichnung von 1905
Nachdem sich Kohlhase mit einem Überfall auf einen brandenburgischen Silbertransport
1540 auch gegen den brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. wandte, lockte dieser ihn
unter Zusicherung freien Geleits nach Berlin und ließ den "Landfriedensbrecher" sowie
dessen Freunde Georg Nagelschmidt und Thomas Meißner am 22. März 1540 auf dem Rabenstein,
der Berliner Richtstätte vor den Toren der Stadt am heutigen Strausberger Platz,
qualvoll rädern. Mit dem Spruch Georg Nagelschmidts "Gleiche Brüder, gleiche Kappen"
lehnte Kohlhase eine "Begnadigung" mit dem Schwert ab.
Wie vor ihm der sagenumwobene Engländer Robin Hood im 13. Jahrhundert und der Wismarer
Klaus Störtebeker (1360-1401) und nach ihm der Vogtländer Karl Stülpner (1762-1841), der
Böhme Johannes Karasek (1764-1809, "Prager Hansel") und der Sachse Max Hoelz (1889-1933)
wurde er zum Sympathieträger des einfachen Volkes in Berlin und in der Mark Brandenburg,
weil er den Kampf mit der Obrigkeit wagte und den gestohlenen Reichtum der Wohlhabenden
den Armen zurückgab.
Michael Kohlhaas
Heinrich von Kleist (1777-1811) schuf 1810 nach Kenntnis des historischen Geschehens
aus einer alten Quelle und in Anlehnung an die historische Persönlichkeit mit seiner Novelle
"Michael Kohlhaas" eine freie literarische Gestalt, die den tatsächlichen
gesellschaftlichen Hintergrund weitgehend ausblendet. Michael Kohlhaas handelt zwar in
der historischen Kulisse, aber als Kämpfer für die reine Gerechtigkeit des eigenen Ichs.
Im Kampf für sein Recht endet er in der tragischen Verstrickung mit neuem Unrecht.
Der Konflikt verengt sich so auf die Person des Kohlhaas' und dessen Eigensinn. Zugleich
mystifiziert Kleist in den Gegenspielern, den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg,
zwei Adressaten für eine Gerechtigkeit von oben aus der Autorität des Staates heraus.
Kleist prägte mit seiner dramatischen Gestalt fortan das Kohlhase-Bild in der
Gesellschaft. Spätere historische Forschungen zur realen geschichtlichen Gestalt haben
sich immer wieder an Kleist gemessen. Der historische Hans Kohlhase trat gegenüber
dem literarischen Michael Kohlhaas zurück.
Germanischer Held oder Prozesshansel?
"E.(in) Willig Hans Kolhase" - eigenhändige Unterschrift Kohlhases unter den Fehdebrief
vom 12. März 1534, letzte Seite
Für die deutschen Faschisten verkörperte Kohlhaas "das der germanischen Rasse eigene,
zähe und zugleich leidenschaftliche Ringen um Gerechtigkeit" (Paul von Klenau, 1933).
Sein Gerechtigkeitssinn wurde in eine der Wurzeln des neuen nationalsozialistischen
Weltbildes metaphysisch umfunktioniert. Dies diente der Legitimierung des Bruchs mit
der deutschen Kulturgeschichte und beförderte den chauvinistischen deutschen Heldenkult.
Zugleich wurde Kohlhases Aufbegehren in die Grenzen staatlicher Autorität und Allmacht
verwiesen.
Die Kommunisten sahen keinen Anlass, Kohlhase ein Denkmal zu setzen, verfocht er doch
nur "seine eigene Sache ... in seinem übersteigerten individualistischen Vorgehen"
(Deutsche Literaturgeschichte in einem Band, Ost-Berlin 1966, S. 302). Sein Gerechtigkeitssinn war
willkommen, das Handeln auf eigene Faust dagegen suspekt.
In der Friedrichshainer Einwohnerschaft hat sich dagegen im 20. Jahrhundert trotz der
von allen Seiten vorgegebenen ideologischen Denkmuster eine eigenständige Überlieferung
von Kohlhase als einem einfachen Manne aus dem Volke, der die Solidarität und den
Zusammenhalt der kleinen Leute verkörperte, ohne Überhöhungen erhalten. Dem kam auch
eine publizistische Würdigung von Kurt Neheimer (Der Mann der Michael Kohlhaas wurde)
1979 recht nahe.
Neuere rechtshistorische Studien der den Kapitalismus bejahenden Elitenwissenschaft versuchten
um 2000 erneut, Hans Kohlhase als einen verbitterten Einzelgänger, Prozesshansel mit
übersteigerter Rechthaberei ohne sozialen Anspruch, Einfluss und Motiv hinzustellen.
Kohlhase wird aus den solidarisch-menschlichen Zusammenhängen seiner letzten acht
Lebensjahre im Widerstand, die ihn erst so bekannt machten und prägten, herausgelöst.
In zynischer Herabwürdigung kommentierte der "Förderverein Karl-Marx-Allee e.V." 2005
die grausame Ermordung Hans Kohlhases durch den Staat mit den Worten "Wir nehmen es gelassen
und schlendern weiter." Wieweit sich die DDR-Eliten in ihrer lakaienhaften Doppelmoral
schon den westdeutschen Rechts- und Autoritätsvorstellungen angenähert hatten, zeigt
auch eine literaturwissenschaftliche Einschätzung von 1981, Kohlhaas wollte mit
"Maßlosigkeit" und "in der Starrheit seiner Selbstverwirklichung" sein Recht erzwingen
(Kurze Geschichte der deutschen Literatur, Berlin/DDR 1981, S. 330). Im Rechtsempfinden,
dass sich dem staatlichen Gewaltmonopol fügt, musste Kohlhase zu allen Zeiten als
exotischer Außenseiter erscheinen.
Wirkungen
Am 13. Juni 1539 kam es bei der Hinrichtung des Kohlhase-Anhängers Paul Stolz auf dem
Marktplatz von Mittenwalde zum allgemeinen Aufruhr in der märkischen Kleinstadt, der
erst unter Einsatz von Hakenbüchsen durch brandenburgisch-kurfürstliche Soldaten blutig
unterdrückt werden konnte. Am 22. März 1540 hatte Hans Kohlhase in seinem öffentlichen Prozess
in Berlin eine dreistündige Rede gehalten, in der er im Angesicht des Todes, ohne
um Gnade zu flehen, sein Handeln stolz vor der Berliner Bevölkerung darlegte und von ihr
offenen Beifall empfing. In einem kurfürstlichen Dokument jener Zeit hieß es, dass
die Stimmung "für den Kohlhase eine gewaltige in der Mark" Brandenburg sei. Hans Kohlhase
hinterlässt mit seinem Leben ein Beispiel, wie der Einzelne gemeinsam mit Freunden und
Verwandten sowie gestützt auf Stimmungen sozialer Gruppen in Konflikte seiner Zeit
eingreifen kann und sich dabei sehr wohl des Risikos und des Opfers dieses Handelns
bewusst ist, weil es nicht persönlichem Wohlstand und Glück dient.
Literaturauswahl
Märkische Chronik des Peter Hafftitz, Microchronologikon, in: Christian Schöttgen,
George Christoph Kreysig, Diplomatische und curieuse Nachlese der Historie von Chur-Sachsen,
und angrentzenden Ländern, Dritter Theil, Dresden/Leipzig 1731, Seite 528-541
Carl August Hugo Burckhardt, Der historische Hans Kohlhase und Heinrich von Kleist's
Michael Kohlhaas, nach neu aufgefundenen Quellen dargestellt, Leipzig 1864
W. Hartmann, Zur Erinnerung an Peter Hafftitz, Berlin 1874, darin: Nachrichten
von Hans Kohlhase, Seite 15-20
Kurt Neheimer, Der Mann der Michael Kohlhaas wurde, Berlin 1979
Helga Schultz, Residenzstadt im Spätfeudalismus, in: Ingo Materna, u.a. (Hrsg.),
Geschichte Berlins von den Anfängen bis 1945, Berlin 1987, Seite 162f.
Knut Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen
Krieges 1411/12 - 1618, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins,
Bd. 1, 2. Aufl., München 1988, Seite 305f.
Roland Reuß, Nachrichten von Hans Kohlhase, in: Berliner Kleist-Blätter, 1990, Seite 44-54
Christoph Müller-Tragin, Die Fehde des Hans Kohlhase, Zürich 1997
Malte Dießelhorst, Arne Duncker, Hans Kohlhase, Die Geschichte einer Fehde in Sachsen und
Brandenburg zur Zeit der Reformation, Frankfurt/Main 1999
Gerhart Hass, Rangsdorf und Groß Machnow in der Mark Brandenburg, Rangsdorf 2003,
Seite 29-36
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